Für die großen Entscheidungen gibt es keinen Autopiloten
Neue Ziele bedeuten Veränderung. Wer sein Team darauf vorbereiten will, benötigt dafür einen klaren Kompass. Das gilt in einer Zahnarztpraxis genauso wie im Cockpit eines Passagierflugzeugs, so der Pilot und Keynote-Speaker Philip Keil.
Am zweiten Tag erlebten die Besucherinnen und Besucher des DZRKongresses 2024 einen echten Gänsehaut-Moment. Pilot und Keynote-Speaker Philip Keil berichtete von einem Flug, bei dem Scherwinde die Maschine in eine gefährliche Situation brachten. Obwohl der Boden schon nahe war, entschied sich Keil, die Nase des Flugzeugs noch weiter nach unten zu drücken, und gewann dadurch den lebensrettenden Auftrieb. „In so einer Situation musst du in Sekundenbruchteilen richtig reagieren“, sagt Keil. „Da hilft kein Bauchgefühl allein, sondern das Ergebnis jahrelangen Trainings.“ Diese Vorbereitung sei entscheidend. „Hätte ich diese Situation nicht unzählige Male im Flugsimulator durchgespielt, würde ich heute nicht hier sitzen. In 13 Kilometern Höhe kannst du nicht mal eben rechts ranfahren.“
Philip Keil ist kein gewöhnlicher Pilot. Mit über 9000 Flugstunden auf vier Kontinenten hat er eine beeindruckende Karriere hinter sich, deren Erfahrungen und Lektionen er heute in Impulsvorträgen und Büchern weitergibt – etwa zur Bedeutung der Intuition. „Gute Entscheidungen sind immer ein Zusammenspiel von Kopf und Bauch. Die wichtigen Entscheidungen des Lebens gehen aber weit über das rein Rationale hinaus“, betont Keil. Besonders in Berufen wie dem des Piloten oder des Arztes, wo Strukturen und Checklisten essenziell sind, ist es das Zusammenspiel von Erfahrung und innerem Kompass, das den Unterschied macht. „Die schwierigen Entscheidungen erfordern Mut, auch auf die innere Stimme zu hören”, rät Keil.

„Decision Point“ – der Moment der Entscheidung
Ein Schlüsselmoment, den Keil als „Decision Point“ bezeichnet, ist der Augenblick, in dem man aus der eigenen Komfortzone ausbrechen muss. „Das sind Momente, in denen du nicht aus dem Autopilot-Modus heraus entscheiden kannst, sondern bewusst und mit Bedacht eine Entscheidung treffen musst.“
Für eine Zahnärztin oder einen Zahnarzt könnte dies beispielsweise die Entscheidung sein, ob es sinnvoll ist, ein eigenes Praxislabor zu eröffnen, oder der Entschluss, sich mit einem anderen Zahnarzt oder einer anderen Zahnärztin zu einer Gemeinschaftspraxis zusammenzuschließen. „Für solche Entscheidungen gibt es kein vorgefertigtes Muster und oft auch kein Richtig oder Falsch. Wichtig ist, dass sich die Entscheidung gut anfühlt und nicht nur rational richtig erscheint.“
Teamwork und Hierarchien
Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Keil anspricht, ist Teamwork. Im Cockpit wie auch in einer Zahnarztpraxis sind Hierarchien unvermeidlich, doch sie dürfen nicht zum Hindernis werden. „Hierarchien können Teams blockieren und lahmlegen“, warnt er. Gerade in Stresssituationen neigt der Mensch dazu, sich unbewusst in einen Tunnelblick zu versetzen und zum Einzelkämpfer zu werden. „Unser Gehirn ist so programmiert, aber wir können dieses Muster erkennen und bewusst ausbrechen. Es ist wichtig, in solchen Momenten nach Hilfe zu rufen und das Team ins Boot zu holen.“ Ein vertrauensvolles Betriebsklima ist laut Keil ebenfalls eine Grundvoraussetzung: „Vertrauen ist die Basis für eine Teamkultur, in der auf Augenhöhe kommuniziert wird. Ohne Vertrauen funktioniert nichts – weder in der Luft noch am Boden.”
„Situational Awareness“ – von außen auf sich selbst schauen
Keil sieht in der „Situational Awareness“ eine Schlüsselkompetenz für Führungskräfte. „Diese Bewusstheit von außen auf sich selbst zu schauen und zu erkennen, in welcher Situation man sich befindet, ist entscheidend. Dann ist es sinnvoll, sich folgende Frage zu stellen: ‚Wenn ich jetzt mein eigener Mentor wäre, was würde ich mir in dieser Situation raten?‘“
Ehrliche Kommunikation
„Ein Patient oder Passagier gibt am Eingang die Kontrolle ab und vertraut uns. Das erfordert eine ehrliche und offene Kommunikation.“ Keil betont, dass es in der Luftfahrt wie in der Medizin wichtig ist, auch schwierige Nachrichten klar und ehrlich zu kommunizieren. „Die Leute wollen wissen, was los ist, auch wenn die Nachricht keine gute ist. Ehrlichkeit schafft Vertrauen.“ So halten es auch Piloten während eines Fluges. Allein, dass der Kapitän sich aus dem Cockpit meldet, um einige Basisinformationen mitzuteilen, ist schon dafür geeignet, die Passagiere zu beruhigen. „Diese Kommunikation ist wichtig“, sagt Keil. „Und Passagiere wissen das zu schätzen.“
Ähnlich sollten auch Zahnärztinnen und Zahnärzte verfahren, wenn sie vor der Behandlung ihre Patientinnen und Patienten informieren und beruhigen.
Stressmanagement und Prioritätensetzung
Stress ist in vielen medizinischen Berufen ein großes Thema, gerade in Zeiten der Verdichtung von Arbeit. „Aktive Prioritätensetzung ist entscheidend”, meint Keil. „Bevor du etwas tust, frag dich: Was ist jetzt wirklich wichtig? Wir Piloten sind gute Prioritätensetzer, keine Multitasker. Wir fokussieren uns auf das Wesentliche und delegieren andere Aufgaben an unser Team.“ Eine besondere Methode, die Keil empfiehlt, ist die Arbeit mit Checklisten und die Unterteilung von großen Aufgaben in kleine Etappen. „Wir sehen nie den Flug als Ganzes, sondern teilen ihn in Etappen auf. Das hilft, den Überblick zu behalten und stets gut vorbereitet zu sein. Auch in anderen Berufen kann es helfen, sich Etappenziele zu setzen und Schritt für Schritt auf ein großes Ziel hinzuarbeiten.“ Für eine Praxis könnte das etwa bedeuten, den „Papierkrieg“ zu beenden und schrittweise auf umweltbewusste, digitale Kommunikation umzustellen.
Strukturierte Vorbereitung
Selbst in Routinephasen eines Fluges, in denen der Autopilot eingeschaltet ist, bleibt die Aufmerksamkeit ein wichtiger Faktor. „Unsere Aufmerksamkeit kann in solchen Momenten leicht abschweifen. Daher nutzen wir diese Phasen, um uns zu erholen und gleichzeitig vorbereitet zu bleiben.“ Keil betont die Wichtigkeit von Ruhephasen: „Wir können nicht über viele Stunden hinweg Bestleistung bringen.“ Eine strukturierte Vorbereitung spielt ebenfalls eine große Rolle. „Vor jedem Flug treffen wir uns eine Stunde vorher zur Flugvorbereitung und zum Crew-Briefing. Diese intensive Vorbereitung ist wichtig, um im entscheidenden Moment topfit zu sein.”
Parallelen zur Zahnmedizin
Vielen Zahnärztinnen und Zahnärzten wird das vertraut sein – etwa, wenn sie die schwierigsten Behandlungen an den Anfang des Tages legen und dann einfachere Kontrolltermine einplanen. Rückblickend auf seine Karriere hat Keil die Veränderungen der letzten Jahre hinsichtlich der Anforderungen an Führungskräfte genau beobachtet. Es geht heute mehr um die Fähigkeit, ein Team zu führen und zu motivieren, als nur um technische Kompetenz. „Vertrauen, Kommunikation und das Zusammenspiel von Ratio und Intuition sind heute wichtiger denn je“, so Keil.
Philip Keils Erfahrungen und Einsichten aus der Luftfahrt bieten wertvolle Lektionen für eine Vielzahl von Berufen. Ob im Cockpit oder in der Zahnarztpraxis – es sind die gleichen Prinzipien von Vertrauen, Kommunikation, Prioritätensetzung und Teamwork, die den Unterschied ausmachen. „Am Ende des Tages geht es darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und das Zusammenspiel von Kopf und Bauch zu nutzen, um die besten Entscheidungen zu treffen.“
Anti-Crash-Tipps für dein Erfolgs-Cockpit
Frage aktiv um Rat und nutze die Perspektiven deines Teams
Qantas Flug 32 war am 4. November 2010 mit einem Airbus A380 auf dem Weg von Singapur nach Sydney, als eines der Triebwerke explodierte. Durch die Explosion wurden zahlreiche Systeme des Flugzeugs beschädigt. Trotz der extrem schwierigen Situation arbeitete die gesamte Crew, angeführt von Kapitän Richard de Crespigny, Erstem Offizier Matt Hicks, Second Officer Mark Johnson und dem Ingenieur David Evans, außergewöhnlich ruhig und koordiniert zusammen. Nach einer mehrstündigen Krisenbewältigung gelang es der Crew, das schwer beschädigte Flugzeug sicher nach Singapur zurückzufliegen und dort eine Notlandung durchzuführen. Dank des außergewöhnlichen Teamworks und der Professionalität der Crew überlebten alle 469 Personen an Bord ohne Verletzungen.Anti-Crash-Tipp: Frage aktiv um Rat, wechsle die Perspektive und versuche, die Stärken deines Teams zu nutzen. Im Cockpit wie in der Zahnarztpraxis können die komplexen Fragen der Zukunft nur im Team beantwortet werden.
Machtdistanz überwinden
Teams scheitern nicht an der Aufgabe, sondern oft an sich selbst und an der Machtdistanz – etwa zwischen Kapitän und Co-Pilot, oder aber auch zwischen Praxisinhaberinnen und Praxisinhabern sowie ihren Mitarbeitenden.Anti-Crash-Tipp: Nur wer selbst das Steuer in die Hand nimmt, kann seinem Leben eine eigene Richtung geben. Schaffe ein Klima auf Augenhöhe, wo sich jeder im Team verantwortlich fühlt und aktiv eingreift, wenn es notwendig ist.
Fehlentscheidungen sind besser als überhaupt keine Entscheidung
Was bereuen wir am Ende unseres Lebens? Oft sind es nicht die Fehler, sondern die Dinge, die wir nicht gewagt haben. Aus Fehlern lernen wir und entwickeln uns weiter. In der Luftfahrt sind „Decision Points“ Momente, in denen schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, da es keine Möglichkeit gibt, anzuhalten.Anti-Crash-Tipp: Frage dich, was sind deine „Decision Points“ des Lebens? Für die großen Entscheidungen des Lebens gibt es keinen Autopiloten. Setze dir klare Ziele und triff Entscheidungen, um voranzukommen.
Stressresistenz durch Routinen und klare Strukturen
Stress beeinträchtigt unsere Leistungsfähigkeit drastisch. Im Cockpit wie im Praxisalltag ist es wichtig, Routinen und klare Strukturen zu schaffen, die uns Sicherheit geben. Ein „steriles Cockpit”, in dem keine Unterbrechungen zugelassen werden, kann helfen, sich auf wichtige Projekte zu konzentrieren.Anti-Crash-Tipp: Etabliere tägliche Routinen, priorisiere Aufgaben und setze persönliche Grenzen, um deine Stressresistenz zu stärken. Nutze Checklisten und regelmäßige Briefings, um Abläufe zu standardisieren und Fehler zu minimieren.
Resilienz und Dankbarkeit entwickeln
Unter Resilienz wird die Fähigkeit verstanden, nach einer belastenden Erfahrung oder Situation wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren und sich zu erholen. Während Stressresistenz also die Abwehrkraft gegenüber Stress beschreibt, geht es bei Stressresilienz um die Fähigkeit, nach einer stressigen Phase wieder in Balance zu kommen.Anti-Crash-Tipp: Achte auf ein positives Mindset – akzeptiere Situationen, die nicht kontrollierbar sind, und verwandele negative Gedanken ins Positive. Statt „Das schaffe ich nie“ könnte man denken: „Das ist eine Herausforderung, aber ich werde mein Bestes geben.“ Dankbarkeit und Zuversicht helfen, Rückschläge zu bewältigen und den Blick nach vorne zu richten. Auch das Setzen von Etappenzielen kann helfen, um kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen, die dich motivieren.
- Kreatives Problemdenken fördern
In der Zukunft werden kreative Problemlösungen und vernetztes Arbeiten immer wichtiger. Praxisinhaberinnen und -inhaber sollten ihre Teams motivieren, frei und offen zu denken und starre Strukturen abzuschaffen, um Raum für Kreativität zu schaffen.
Anti-Crash-Tipp: Fördere ein Umfeld, in dem Kreativität und vernetztes Arbeiten möglich sind. Nehmt euch als Team regelmäßig die Zeit für kreative Projekte, die die Praxis voranbringen können.
Fazit: Im „Cockpit des Lebens“ sind Teamarbeit, klare Strukturen, kreative Problemlösungen und Resilienz entscheidend. Nutze die Stärken deines Teams, triff mutige Entscheidungen und schaffe ein Umfeld, das Kreativität und Verantwortung fördert. So erreichst du deine Ziele und wächst über dich hinaus.
Autor: Guido Walter
Philip Keil war Referent auf dem DZR Kongress 2024. Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Ausgabe 04/2024 des DZR Xtrablatt.