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Blaue Grafik mit Aufschrift DZR fragt nacht

Fortschritt der Zahnmedizin über Aufklärung von Patienten. DZR fragt nach ...

Dr. Freiherr von Stetten, hat vor 15 Jahren die familiengeführte Praxis übernommen und leitet seitdem erfolgreich die eigene Zahnarztpraxis in Stuttgart. Mit seinem Team hat er sich unter anderem auf mikroskopgestützte Wurzelkanalbehandlung spezialisiert. Auch die minimalinvasive Zahnerhaltung mit vollkeramischen Restaurationen gehört zu seinem Leistungsspektrum.
 

Wenn Sie den Fortschritt und die Innovationen in der Zahnmedizin sehen, dann einen Vergleich ziehen hin zur Vergütung nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) sowie den Behandlungsrichtlinien der BEMA und der neuerliche Budgetierung — ist eine betriebswirtschaftlich erfolgreiche Praxisführung ohne Honorarvereinbarung nach § 2 GOZ Ihrer Meinung nach noch „State of the Art“?

Wir müssen an dieser Stelle deutlich unterscheiden zwischen echten Innovationen und dem, was uns unsere Industriepartner seit jeher als solches verkaufen wollen. Materialien und Techniken entwickeln sich natürlich weiter, keine Frage. Letztendlich aber sind die Grundlagen doch etliche Jahrhunderte alt. Basics wie vollständige Kariesentfernung, dichte Matrizen, Feuchtigkeitskontrolle bei Füllungen etc. sind keine neuen Forderungen. Diese Liste könnte man ewig weiterführen. Vor allem aber die bei Weitem teuerste Ressource, unsere Arbeitszeit im Team, hat sich gegenüber 2008 deutlich verteuert.

Primär über die allgemeine Entwicklung der Lebenshaltungskosten sowie die Umorientierung hin zum Stichwort Work-Life-Balance – dem MUSS Rechnung getragen werden. Vom Verordnungsgeber ist in dieser Richtung nichts Gutes zu erwarten, ganz im Gegenteil. Der Punktwert in der GOZ ist seit Jahrzehnten nicht angepasst worden. Für uns bedeutet das Wohl des/der Patienten/Patientin hauptsächlich die für ihn/sie aufgewendete Zeit und damit auch Sorgfalt, unsere volle Aufmerksamkeit. Da ich, meine Kolegen/Koleginnen keinen skalierbaren Beruf ausüben, haben wir nur zwei Stellschrauben: Arbeitszeit/Woche und Honorarhöhe. Materialeinkauf ist zwar ein großer Brocken, an dieser Stellschraube kann aber nicht unendlich gedreht werden. State of the Art bedeutet für mich primär, dass man sich für die Therapie die nötige Zeit lässt. Das geht dann nur über die Honorarvereinbarung, um kostendeckend arbeiten zu können.
 

Was hindert viele Ihrer Kollegen/Kolleginnen Ihrer Meinung nach daran, eine Honorarvereinbarung mit ihren Patienten/Patientinnen zu schließen?

Vermutlich, die Sorge, Patienten/Patientinnen zu verlieren: „Oh, bei meinem Bekannten hat es aber nur xx Euro gekostet.“ Die „Geiz ist geil!“-Mentalität ist in den letzten Jahren massiv bei uns allen in die Verhaltensweisen übergegangen – zu oft wird dieses Modell allerdings auf Dienstleister angewendet. Zwei falsche Voraussetzungen gibt es meiner Meinung nach dabei:

1.) „Die haben doch alle das Gleiche gelernt.“ Ja, das stimmt. Wir haben alle mehr oder weniger das Gleiche im Studium gelernt. Das war es aber schon mit den Gemeinsamkeiten. Wir machen Endo als Spezialisten, manche haben Nahtoderfahrungen bei der Trepanation. Ich musste meiner KFO-Professorin versprechen, dass ich nie KFO mache (nachdem sie meine VD-Platte im Staatsexamen gesehen und begutachtet hatte), deswegen kenne ich zwar die Grundlagen, würde aber nie auf die Idee kommen, KFO-Behandlungen durchzuführen. So hat jeder von uns seine Stärken und Schwächen. Werde ich von Patienten oder Patientinnen angesprochen, frage ich immer, ob sie auch JEDER Autowerkstatt blind Vertrauen… Raten Sie mal, wie die Antworten ausfallen.

2.) Die Leistung wird in ihrer Komplexität nicht verständlich genug kommuniziert. Wir haben es im schlimmsten Fall mit Google-vorgebildeten Laien zu tun. Fachchinesisch beeindruckt da niemanden, im Gegenteil. Finden Sie die Sprache des/der Patienten/Patientin, dann finden Sie auch den Zugang zu ihm bzw. ihr. Es wird uns zudem im Studium nicht beigebracht, über Geld verständlich zu sprechen. Warum wir das, was wir im täglichen Leben erfahren, nicht einfach auch mal in unsere Praxissituation übertragen, ist mir schleierhaft – Stichwort Autowerkstatt oder Handwerker. Wenn Sie den/ die Patienten/Patientin bewusst daran erinnern, verliert der Spruch „aber nicht über Faktor 3,5, weil meine Versicherung das nicht bezahlt“ an Bedeutung.

 

Was haben Sie in Ihrer Praxis in der Vergangenheit damit für Erfahrungen gemacht?

Tatsächlich nicht immer nur gute. Zaghaft, falsche Körpersprache, zu wenig Kante, zu wenig Selbstbewusstsein, falsche Sprachwahl. Es war ein langer Prozess seit 2006, zu lernen, wie man die Honorarvereinbarung – und damit seine Preisgestaltung – dem/der Patient:in transparent präsentiert. Manchmal schmerzhaft, manchmal befreiend (weil der/die Patient/Patientin dann die Praxis gewechselt hat). Patienten/Patientinnen ziehen zu lassen, weil man das Konto immer im Blick haben muss, ist nicht immer einfach. Das sollte ehrlicherweise IMMER erwähnt werden. Zu lernen, dem/der Patienten/Patientin unmissverständlich mitzuteilen, dass ER/ SIE der/die Vertragspartner:in der Versicherung ist und nicht wir, hat sich retrospektiv als Gamechanger herausgestellt. Aus diesem Grunde heraus arbeiten wir auch kaum mit Analogpositionen, dafür mehr mit Faktoren. Es gibt nichts Schlimmeres als den Vorwurf der Falschabrechnung und der/die Patient:in ist meist gewillt, der Versicherung zu folgen – es geht ja um ihr Geld…
 

Was erwarten Ihrer Meinung nach Patienten/Patientinnen bei einer guten Aufklärung?

Unserer Erfahrung nach die Erklärung der Diagnose, der groben technischen Schritte der Durchführung, Kosten, Prognose, Zeitbedarf, zu erwartende Schmerzen, Alternativen und deren Kosten. Zur Kostenaufklärung gibt es einen Kostenvoranschlag – wir nennen es Therapieplan, um die Wertigkeit unserer Arbeit, aber auch den Nutzen für den/die Patienten/Patientin deutlich hervorzuheben.

Und wir ergänzen jedes Gespräch mit dem Hinweis, dass wir die Erstattungshöhe nicht zu 100 Prozent bemessen können. Ich kann nur den Tipp geben, dabei von sich selber auszugehen, was die Erwartungen an eine Aufklärung angeht. Das hilft in diesem Themenbereich enorm.
 

Welches Fazit würden Sie für sich ziehen und was würden Sie Ihren Kollegen/Kolleginnen gerne mitgeben für die Zukunft?

Bleiben Sie sich selber treu, versuchen Sie nicht, etwas anzubieten, was weit außerhalb Ihrer Komfortzone liegt. Die besten Stammtischgeschichten beginnen mit „und dann habe ich mich doch breitschlagen lassen …“. Wenn Sie nicht überzeugt sind, lassen Sie es. Bilden Sie ein Netzwerk aus Spezialisten. Geben Sie ruhig zu, etwas nicht zu wissen. Der/Die Patient:in schätzt das. Bleiben Sie konsequent.

Als Einstieg empfehle ich ein persönliches Gespräch mit dem Steuer-/Finanzberater. Stellen Sie einen 10-Jahres-Plan auf. Führen Sie ein aktives Controlling durch. Dieser Plan ist die Grundlage Ihrer Kalkulation des Praxisertrages und damit die Grundlage Ihrer Vereinbarungen und Aufklärungsgespräche. Wenn Sie nicht wissen, wie die Kosten sind, können Sie nicht kalkulieren. Holen Sie sich eine/n neutrale/n Berater:in ins Boot, der Ihnen auch mal die ehrliche Meinung kundtut – das macht leider weder die Bank noch das Depot.
 

Fakt ist: Ohne die Möglichkeit der Honorarvereinbarung und der Ausschöpfung dieser Möglichkeit wäre es mir schlicht nicht möglich, Leistung auf dem derzeitigen Niveau zu erbringen. Unser Tag hat auch nur eine begrenzte Zahl an Stunden, ein Privatleben ist zudem genauso wichtig wie eine gute, solide Zahnheilkunde.

Autor: Dr. Freiherr von Stetten

 

—— Über die Praxis von Stetten

Die Praxis wurde 1987 in Stammheim eröffnet und war, ganz im Sinne der 80er/90er auf hohen Durchsatz getrimmt. Ich bin 2001 eingestiegen, habe die Praxis 2008 übernommen und immer weiter auf die Endodontie als Überweisungspraxis umgestellt. Das bedeutete in den ersten Jahren recht große Reibungsverluste, da wir zeitlich nicht in der Lage waren, wie früher alles zu versorgen, zum anderen waren in der Praxis keine Zuzahlungen installiert.

Von Masse auf Klasse umzustellen, war ein interessanter und manchmal turbulenter Vorgang. Vor allem die stete Anpassung war zeitweise eine Herausforderung. Inzwischen sind wir und unsere Prozesse etabliert, die Praxis befindet sich in einem ruhigen Fahrwasser. Die kommenden Jahre werden ganz sicher sehr spannend, betrachtet man die derzeitige Situation im Gesundheitswesen. Zahnerhalt wird nie aus der Mode kommen und wir fühlen uns mit unserem Netzwerk aus Spezialisten gut gewappnet für zukünftige Herausforderungen.

 

—— CURRICULUM VITA

2001: Staatsexamen FU Berlin Süd | Ausbildungszeit in der mütterlichen Praxis

Ab 2002: Vertiefung in der Endodontie | Curriculum Endodontie | Zahlreiche Fortbildungen im In-/Ausland

2006: Eröffnung einer endodontischen | Überweiserpraxis

2010: Spezialistenprüfung der DGET, ab 2010 Spezialist für Endodontie (DGET)

2006 bis heute: Zahlreiche Vortragstätigkeiten zu Sichtvergrößerungen, Ergonomie, Endodontie auf verschiedenen Kongressen, Beteiligung an R&D im Bereich Optik, Sichtvergrößerung, endodontische Instrumente und Materialien

 

 

Dieser Artikel wurde erstmalig in der Ausgabe 2/2023 des Xtrablatts veröffentlicht.